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11.06.2025 | QLT Redaktion
Im Konstanzer Kulturzentrum am Münster zeigt das Rosgartenmuseum die Sonderausstellung zur vielfältigen Geschichte der Fasnacht am Bodensee. In einer buntfarbigen, dem Stadtteil Niederburg nachempfundenen Architektur geht es auf eine 200-jährige Zeitreise durch die Traditionen der Fasnacht, die am Bodensee schon Fasching und sogar Karneval hieß. Die spektakuläre Ausstellung erzählt mit unbekannten Bildern und seltenen Relikten eine etwas andere – auch kritische – Geschichte der Fasnacht. Ein eigens produzierter Dokumentarfilm, ein reich illustriertes Begleitbuch und ein umfangreiches Rahmenprogramm begleiten die Schau.
QLT hat mit Dr. Tobias Engelsing, dem Direktor der Städtischen Museen Konstanz, über die Ausstellung gesprochen.
Tobias Engelsing
hat an der Universität Konstanz Geschichte, Jura und Politik studiert und bei Prof. Lothar Burchardt promoviert. Er leitete von 1992 bis 2007 die Lokalredaktion Konstanz des Südkurier. Seither ist er Direktor der vier Städtischen Museen und Autor zahlreicher historischer Publikationen und Drehbücher.
QLT: Die Ausstellung beschreibt 200 Jahre Fasnacht am Bodensee: ein bunter Cocktail aus Habsburger Fasching, bürgerlich-liberaler Saalfasnacht und einer kräftigen Portion karnevalistischem Rheinland. Wie unterscheiden sich denn die verschiedenen Formen der Fasnacht?
Vor etwa 200 Jahren standen im österreichisch geprägten »Fasching« noch ganz die vornehmen Bälle im Vordergrund. Um 1860 machte dann »Prinz Karneval« auch im Südwesten und am Schweizer Ufer des Bodensees eine große Karriere, die Närrinnen und Narren wurden zu begeisterten »Karnevalisten« mit großen Motto-Umzügen und »Elferräten«. Mit dem Aufstieg völkisch-antimoderner Ideen seit den 1920er-Jahren wurde dann die vermeintlich »germanisch-arische« Zunftfasnacht mit Larven und angeblicher Winteraustreibung propagiert.
QLT: Die Fasnacht wird heute nicht in Frage gestellt, jedes Jahr komme neue Zünfte dazu und halten die Narrenfreiheit hoch. Aber war und ist die Fasnacht wirklich durch Narrenfreiheit geprägt?
Die angeblich munter genutzte Narrenfreiheit, also das Recht, die Mächtigen zu kritisieren, ist eine der hartnäckigsten Legenden der Fasnacht. Tatsächlich war närrischer Humor seit dem deutschen Kaiserreich oft nur ein Resonanzverstärker der herrschenden politischen Verhältnisse. Am liebsten spotteten Narren über Minderheiten und andere Völker. Die republikanischen Schweizer haben dagegen eine bedeutend demokratischere Tradition: Dort wurde die lokale und nationale Politik in satirischen Umzugsthemen schon früh karikiert.
QLT:. Wie hat sich die Fasnacht nach politischen Systemwechseln verändert?
Nach dem Ende der Monarchie 1918 begann eine sehr reformfreudige Zeit: Die wenigen guten »Goldenen Zwanzigerjahre« waren von neuen Tänzen, amerikanischen Jazzklängen und von der Emanzipation der Frau geprägt. Die Fasnacht wurde modischer, weiblicher und erotischer. Das haben die Nationalsozialisten nach 1933 umgehend beseitigt. Die Fasnacht wurde völkisch und systemkonform. Die Bühnenakteure passten sich ganz überwiegend an, sie wollten den neuen braunen Herren, die im Publikum saßen, schließlich gefallen.
QLT: Antisemitismus, Rassismus, Sexismus: Auch das gab es in der Narretei des 20. Jahrhunderts?
Ja, als sich das Deutsche Reich nach 1880 eigene Kolonien sicherte, machten koloniale Themen und die rassistische Karikatur vor allem farbiger Menschen große Fasnachtskarriere. In vielen Städten schlossen antisemitische Umzugswagen und Gruppen nach 1933 nahtlos an diesen Rassismus der Kolonialzeit an. Sexistische Witze über Frauen werden auf Narrenbühnen auch heute noch gerissen, aber eine jüngere Generation von Akteurinnen und Akteuren kann diesem Frauenbashing nichts mehr abgewinnen.
QLT: Stichwort kulturelle Aneignung. Heute wird diskutiert, ob beispielsweise Indianerkostüme an Fasnacht rassistisch sind. Wo hört positive Aneignung und wo fängt negative Herabsetzung an?
Vor 200 Jahren waren die Menschen hierzulande begeistert vom Freiheitskampf der Griechen und Polen oder von der republikanische Schweiz. Deren Kostüme wurden voller Bewunderung, also keineswegs herabsetzend, nachgeahmt. »Indianer« hingegen wurden hier durch Karl Mays Romane und durch die »Westernshows« des Eventmanagers »Buffalo Bill« bekannt. Darin erscheinen die indigenen Völker Nordamerikas als Besiegte des angeblich glorreichen Siegeszugs des »weißen Mannes« nach Westen. Dass sie tatsächlich Opfer eines brutalen Vernichtungskrieges wurden, wird darin nicht erzählt. Deshalb lehnen ihre Nachfahren unsere »Indianer«-Karikatur der »Rothäute« ab und bitten uns, ihre traditionelle Kleidung nicht mehr nachzuahmen.
QLT: Erwarten Sie auch kritische Stimmen zur Ausstellung? Manch ein organisierter Narrenfunktionär wird sich auf den Schlips getreten fühlen. Ein Beitrag für die Spaßgesellschaft ist diese Ausstellung auf jeden Fall nicht.
Museen sind ja auch keine RTL-Realityshow. Dennoch präsentieren wir die »Maskeraden« teils auch unterhaltsam und spielerisch, ein Ausstellungsbesuch soll schließlich Freude machen. Andererseits brauchen wir alle in diesen nervösen, lauten und aggressiven Zeiten doch auch Momente des Innehaltens und Nachdenkens. Ausstellungen können solche stillen Orte der Besinnung sein. Dass ein paar kritische Kapitel einigen Narrenfunktionären nicht gefallen werden, das könnte sogar spannende Diskussionen auslösen.
QLT: Wie haben Sie es geschafft, die Ausstellung in Zeiten von Budgetkürzungen zu finanzieren?
Neben dem immer noch ordentlichen städtischen Budget stehen uns wichtige Förderer zur Seite, so etwa die am Rosgartenmuseum angesiedelte Werner Konrad Siegert Stiftung, die Konstanzer Museumsgesellschaft, der Lotteriefonds des Kantons Thurgau, die Sparkasse Bodensee und viele private Mäzene und Spender, denen unsere facettenreiche Erinnerungsarbeit einfach wichtig ist.
QLT: Woher stammen die Exponate?
Das ist hier am Bodensee eben sensationell: Weil es nur wenig Kriegszerstörung gab, fanden wir auf Dachböden uralter Häuser, in »Fasnachtskisten« von Familien, bei befreundeten Museen und bei Sammlern wirklich einzigartige Kostüme, Masken, Fotos und Relikte aus 250 Jahren Fasching, Fasnacht, Karneval.
QLT: Wie sprechen Sie Kinder und Jugendliche an? Deren Erfahrung ist vermutlich eher von Wurstschnappen, Partys und kleinem Feigling aber nicht politisch geprägt. Wie wollen Sie deren Interesse wecken?
Unser junges Vermittlungsteam unter Leitung von Ines Stadie und unsere studentischen Guides präsentieren ein munteres Paket an Mitmachaktionen, Führungen und Workshops. Das »Konstanzer Museumsfest« am 12. Juli mit unseren deutsch-schweizerischen Gourmetköchen steht zudem unter dem kulinarischen Motto »Bunt wie Konfetti – Vielfältiges aus der Bodenseeküche«: Es ist also für Groß und Klein was dabei, wir bieten Nahrhaftes für Geist und Körper.
Ausstellungsort: Kulturzentrum am Münster in Konstanz
Die neue Sonderausstellung – bis 11.1.2026
Dokumentarfilm zum Thema:
Im Rosgartenmuseum, 2. OG
Begleitbuch zum Thema:
Tobias Engelsing: »Maskeraden. Fasching, Fasnacht und Karneval am Bodensee. Eine kritische Geschichte.« 256 Seiten, Thorbecke Verlag, 24 € erhältlich im Museumsshop und im Buchhandel
Führungsangebot
Öffentliche Führungen:
Regelmäßig wochentags und an Wochenenden
Alle Termine unter:
www.rosgartenmuseum.de/informationen/agenda
Gruppenführungen auf Anmeldung:
rosgartenmuseum@konstanz.de
+49 (0) 7531 / 900 2851
Näheres zum umfangreichen Rahmenprogramm unter
www.rosgartenmuseum.de