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Jetzt machen wir Republik! – Die Revolution von 1848/49 in Baden

16.08.2023 | QLT Redaktion

Gustav Struve, Friedrich Hecker und Alexander Schimmelpfennig in den blauen Blusen der Revolution 1848.

Seit Mitte Mai, ein knappes Jahr nach der Eröffnung der Dauerausstellung »Konstanz im Nationalsozialismus« zeigt das Konstanzer Rosgartenmuseum im Kulturzentrum am Münster mit der Sonderausstellung »Jetzt machen wir Republik! Die Revolution von 1848/49 in Baden« eine weitere Ausstellung zum Thema Freiheit und Demokratie. Angesichts des Angriffskrieges, den Russland immer noch gegen die Ukraine führt, ist das Thema nach wie vor hoch aktuell.

QLT hat mit Dr. Tobias Engelsing, dem Direktor der Städtischen Museen, über die Ausstellung gesprochen.

QLT: Herr Dr. Engelsing, von Konstanzer Boden aus startete Friedrich Hecker vor 175 Jahren die badische Revolution mit dem Ziel, den Menschen politische Freiheit und Demokratie zu bringen und damit die Herrschaft der Fürsten zu beenden. Warum startete Hecker die Revolution von Konstanz aus, er war doch gar kein Konstanzer?
Es wäre eher hinderlich ein Konstanzer gewesen zu sein, um eine Revolution anzuzetteln! Die Konstanzer mögen es bekanntlich seit Jahrhunderten geruhsam, Hauptsache ein volles Viertele und nicht zu oft Föhn-Wetter. Aber im Ernst: Nachdem der Abgeordnete Friedrich Hecker im sogenannten Vorparlament keine Mehrheit für revolutionäre parlamentarische Vorstöße gefunden hatte, glaubte er, mit einem symbolstarken Marsch auf Karlsruhe die Republik und die Reichseinigung herbeiführen zu können. In Konstanz lag damals kein Militär, man konnte von hier aus also ungestört einen revolutionären Zug starten.

QLT: Wie waren denn die politischen Verhältnisse zu dieser Zeit?
Für die ärmeren Schichten der Bevölkerung, und die waren die absolute Mehrheit, sah es um 1847/48 übel aus: Die Kartoffelernte war verfault, das traditionelle Handwerk hatte keine Arbeit, die Steuerlast drückte, die Bevölkerung wuchs schnell, aber die Landwirtschaft kam mit der Versorgung nicht hinterher und die Landesregierungen bestanden überwiegend aus fortschrittsfeindlichen, verknöcherten Bürokraten. Viele Menschen standen am Rande des Ruins. Die Hoffnung auf eine Veränderung der materiellen Lage durch eine revolutionär-demokratische Bewegung war groß.

QLT: Womit waren die bürgerlichen Freiheitskämpfer ausgestattet? Mit welchen Mitteln wollten sie diese Machtverhältnisse verändern?
Hier klafften revolutionärer Elan und tatsächliche Mittel erschreckend auseinander: In der ersten Revolutionswelle im Frühjahr 1848 waren die Aufständischen nur mit alten Steinschlossflinten aus den Zeughäusern der Gemeinden, mit umgebauten Sensen und alten Säbeln ausgerüstet. Die Hoffnung ging aber dahin, dass allein der begeisterte Aufstand der Massen ein »Weckruf durch ganz Deutschland« werden würde, dem Zehntausende hätten folgen und vor dem die Fürsten hätten kapitulieren sollen. Doch die Massen blieben zu Hause und die Fürsten boten bestens ausgerüstete Linientruppen auf.

QLT: Was erwartet die Ausstellungsbesucher diesmal?
Wir haben aus der ganzen Welt zauberhafte Erinnerungsstücke an die mutigen Männer und Frauen der Demokratiebewegung von 1848/49 zusammengetragen. Wir haben Geschichten über diese Aufständischen gesammelt und berührende Bilder und Objekte zu einer emotionalen Erzählung über die Anfänge unserer Demokratie zusammengestellt. Da steht der lebensecht rekonstruierte Hecker, es laufen kleine Videos, die wir mit Nachfahren gedreht haben, und Kinder können die Konstanzer Kanone des Aufstands von 1848 sehen und nachgeschneiderte Kostüme der Zeit anziehen.

QLT: Woher stammen die vielen wertvollen Ausstellungsstücke?
Die für mich eindruckvollsten Erinnerungsstücke stammen aus dem persönlichen Nachlass von Friedrich Hecker, ausgeliehen oder dem Museum geschenkt von der Familie seiner direkten Nachfahren in den USA. Aber auch aus der Schweiz und aus den deutschen Revolutions-Familien durften wir bisher nie gezeigte Schätze ausleihen.

QLT: Konstanzer Studenten und Schüler lernen mehr über die Seidenstraße, als über unsere eigene Geschichte. Sie haben es mit der im Juni 2022 eröffneten Dauerausstellung zum Nationalsozialismus geschafft, Schülergruppen neu zu begeistern, die jetzt wieder häufiger ins Museum kommen. Unterstützt wird diese Ausstellung durch einen Film. 22.000 Personen haben ihn bereits gesehen. Die Hecker Ausstellung wird auch durch einen Dokumentarfilm im Gewölbekeller ergänzt, wie ist die Resonanz bisher?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass mit einem Film leichter in ein Thema eingeführt werden kann als mit langen Texten oder mündlich vorgetragenen Einleitungen. Die Berliner Serien-
Schauspielerin Annett Fleischer (»Hubert & Staller«) moderiert diesen leicht erzählenden Film, der die Schauplätze dieser Zeit lebendig macht. Die bisherige Resonanz ermutigt uns sehr, auch in Zukunft Filme zu drehen: Film geht schneller ins Herz als Lesen, so ist das halt.

QLT: Mit dem Sieg der Fürsten unter preußischer Führung ist die dritte Revolutionswelle von 1849 gescheitert, Hecker ging schon 1848 ins Exil. Trotzdem gelten die Ereignisse sozusagen als die Geburtsstunde der Demokratie, obwohl es noch zwei Weltkriege gedauert hat, bis es tatsächlich so weit war. Ist die Revolution also doch nicht gescheitert?
Im Sommer 1849 wurde sie zusammengeschossen, langfristig aber ist diese Revolution der Urboden unseres heutigen freiheitlichen Rechtsstaates. Die preußischen Standgerichte haben 1849 zahlreiche Todesurteile verhängt, Zehntausende arme Bauern, Handwerker, Arbeiter und Arbeiterinnen mussten vollkommen mittelos in die USA emigrieren. Nicht alle waren dort erfolgreich. Erst 1919, nach dem Sturz der Monarchien, gab sich Deutschland die erste freiheitliche Verfassung, die unter anderem auch das Frauenwahlrecht vorsah. Und nach dem Jahrhundertverbrechen des Nationalsozialismus bezog sich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf die Grundrechte von 1849.

QLT: Was ist letztendlich die Botschaft der Ausstellung?
Unsere Ausstellung, der Film, der bunte Begleitkatalog und das Rahmenprogramm wollen neben aller unterhaltenden Erzählung über 1848 auch deutlich machen, dass wir auf unsere 1848er-Ahninnen und Ahnen durchaus stolz sein dürfen: Sie haben wirklich alles riskiert für die politische Freiheit und für den liberalen Rechtsstaat. Sind wir ähnlich mutig wie sie, verteidigen wir den freiheitlichen Rechtsstaat gegen alle die Kräfte, die ihn abschaffen wollen? Darüber kann man ruhig mal nachdenken in Zeiten, in denen in Thüringen der erste Kandidat einer teils rechtsextremen Partei zum Landrat gewählt wurde.

Herr Engelsing, wir wünschen viel Erfolg mit der Ausstellung und herzlichen Dank für das Gespräch.

Tobias Engelsing
hat an der Universität Konstanz Geschichte, Jura und Politik studiert und bei Prof. Lothar Burchardt promoviert. Er leitete von 1992 bis 2007 die Lokalredaktion Konstanz des Südkurier. Seither ist er Direktor der vier Städtischen Museen. Aus seiner Feder liegen zahlreiche Biografien und Bücher zur neueren Regionalgeschichte vor.

Ausstellungsort:
Kulturzentrum und Gewölbekeller am Münster

Die neue Sonderausstellung bis 7. Januar 2024

Führungsangebot:
Öffentliche Führungen:
Jeden Sonntag um 15 Uhr
(außer 1. Sonntag im Monat)

Gruppenführungen auf Anmeldung

Kontakt:
Lisa.Foege@konstanz.de
+49 (0) 7531 / 900 2851

www.rosgartenmuseum.de



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