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11.12.2024 | QLT Redaktion
Was hat es mit den biologischen Uhren von Lebewesen und dem Einfluss von Tageslicht auf sich? 17 internationale Kunst- und Designschaffende verwandeln im Gewerbemuseum Winterthur bis 11.5.2025 unsere Tages- und Jahreszeitrhythmen in atmosphärische Licht- und Klanglandschaften. Sie erforschen die Geheimnisse von Schlaf und Traum, entwerfen alternative Bilder von Zeit und beschwören die Kraft sowie die Schönheit des Tageslichts. Lasst uns die Nacht zurückgewinnen und den Tag erhellen! Jetlag, Nachtschichten, Umstellung von Sommer- auf Winterzeit oder auch urbaner Lebensstil und Lichtverschmutzung: Wann und wie schlafen wir eigentlich und wann brauchen wir Aktivität? Ob Fledermäuse, Pflanzen, Insekten oder Menschen, alle haben den 24-stündigen Tag-Nacht-Rhythmus verinnerlicht, über den sie ihr Verhalten und ihre Körperfunktionen optimal anpassen. »Lighten Up!« erkundet gemeinsam mit bekannten Kunst- und Designschaffenden sowie Architekten die Verbindung zwischen lebenden Organismen und dem zirkadianen (circa diem = ungefähr ein Tag) Zyklus von Licht und Dunkelheit. Die Schau feiert gleichzeitig die Kraft und die Schönheit des Tageslichts, führt in die Mysterien der biologischen Uhren ein und ergründet die Geheimnisse von Schlaf und Träumen
Daneben beleuchtet die Ausstellung das Phänomen der immer heller werdenden Nächte durch künstliches Licht und seine negativen Folgen für alle Lebewesen. Zwei Installationen laden das Publikum dazu ein, über die Natur des Lichts nachzudenken. Die faszinierenden optischen Vorrichtungen von »Embodied Light« des amerikanischen Künstlers James Carpenter ermöglichen es, in die Welt des Lichts und seiner sich im Laufe des Tages verändernden Beschaffenheiten einzutauchen und damit zu interagieren. Mit »Light-Oriented Ontologies – The Beginnings« materialisiert der Schweizer Künstler Alan Bogana das Licht, um zu den Ursprüngen des Sehens zurückzukehren. Das Tageslicht und seine Funktion in unserem Leben und unseren Lebensräumen steht im Mittelpunkt der Installation »Circadian House«. Der französisch-britische Architekt Colin Fournier zeigt darin die virtuelle Version eines kleinen Hauses, das für den Einfall von natürlichem Licht optimiert wurde.
Fünf Installationen vermitteln die Prinzipien der biologischen Uhr, jenes subtilen Mechanismus, der unser Verhalten und das aller lebenden Organismen steuert. »10.000 Waking Bees« der neuseeländischen Künstlerin Anne Noble widmet sich dem Zeitgefühl von Bienen: Wird deren biologische Uhr durch Betäubung gestoppt, ist ihre Navigation zurück zum Bienenstock beim Aufwachen gestört. »Circadian Bloom« der britischen Künstlerin Anna Ridler nutzt daneben verschiedene Blumenarten, deren Blütezeit vorhersagbar ist, um eine Art natürliche Digitaluhr zu erschaffen. Die Arbeit »The Clocks Around and Within Us« erläutert die Geschichte und die Entdeckungen der Chronobiologie, also der Wissenschaft, die den Zusammenhang zwischen lebenden Organismen und dem Hell-Dunkel-Zyklus erklärt und alle Werke der Ausstellung miteinander verbindet. Der Inhalt wurde von der emeritierten Professorin Anna Wirz-Justice, Co-Kuratorin von »Lighten Up!«, mit Hilfe eines großen Teams von Chronobiologen zusammengestellt.
Die künstliche Erhellung des Nachthimmels nimmt in Europa jährlich durchschnittlich um 6,5 Prozent zu und greift insbesondere im urbanen Leben mehr und mehr um sich. Die nächtliche Beleuchtung führt allerdings zu einer Unterbrechung der jeweiligen zirkadianen Rhythmen und hat unter anderem erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit aller Lebewesen. In diesem Sinne widmet sich ein Ausstellungsbereich dem Thema der Lichtverschmutzung und den vielgestaltigen Effekten auf unsere Welt. Daneben zeigt der Schweizer Künstler Robin Meier Wiratunga in den zwei gleichnamigen Installationen, »Synchronicity« wie der natürliche biolumineszente Rhythmus von Glühwürmchen von externen Lichtsignalen beeinflusst wird. Zwei Installationen hinterfragen unsere Beziehung zu Zeit an sich. »Circa Solar« des britischen Designers Ted Hunt ist eine Digitaluhr, verbunden mit einer App: Die Zeit wird von ihrer traditionellen Darstellung gelöst, stattdessen werden die saisonalen Veränderungen des Hell-Dunkel Zyklus’ im Laufe des Jahres veranschaulicht. Die immersive Installation »Circadian Dreams« der deutschen Künstlerin Helga Schmid experimentiert ihrerseits mit einem alternativen Zeitsystem: Es basiert auf den verschiedenen Verhaltensphasen des menschlichen Körpers in Verbindung mit den zirkadianen Rhythmen. Diese zwei Installationen hinterfragen unsere Beziehung zu Zeit an sich und empfehlen, mehr auf unsere natürliche Zeitsensibilität zu achten.
Alle Organismen weisen zirkadiane Funktionen auf. Beim Menschen zeigen sie sich am deutlichsten im Zyklus von Aktivität und Ruhe. Während die Installation »Circadian Rhythms« des französischen Künstlers Kirell Benzi die Daten von drei Personen mit unterschiedlichen Beschäftigungen visualisiert, um die Einzigartigkeit ihres Tagesrhythmus zu enthüllen, zeichnen zwei andere Installationen Aktivitätszyklen und Lichtexposition von Personen über mehrere Jahre nach. Die Serie »SunDial: NightWatch« der britischen Künstlerin Susan Morris besteht aus Jacquard-Wandteppichen, deren Muster von den Ruhe-Aktivitäts-Messdaten der Künstlerin bestimmt werden, die über einen Zeitraum von fünf Jahren kontinuierlich erhoben wurden. Sie zeigen, wie sich der jahreszeitliche Wechsel der Tageslänge auf unser Leben auswirkt. »Cyclus« und »Panorama« sind zwei monumentale Installationen, die vom 2016 verstorbenen deutschen Künstler Andreas Horlitz entworfen und mit den Mustern von Ruhe-Aktivitätsdaten gestaltet wurden. Schließlich untersucht die Installation des Schweizer Designers Rafael Gil Cordeiro die unsichtbare und unbewusste Natur des Schlafs und der Träume. Er verwandelt mit »Print my Sleep« die einzigartigen Schlafdaten verschiedener Freiwilliger in 3D-gedruckte Skulpturen.